Northeim (red). Während des dritten und letzten Abends der Vortragsreihe der Kreisvolkshochschule Northeim zum Thema Depressionen ging es um „Depression und Arbeitswelt“. Vortragender war wieder der Chefarzt der Roswitha-Klinik Bad Gandersheim, Dr. Martin Lison. Die Wechselwirkungen zwischen psychischen Erkrankungen und der Arbeitswelt seien vielfältig. In dem Vortrag werde deutlich, dass Arbeit positive Wirkungen haben könne. Sie könne aber auch krank machen. Depressionen seien nach Angsterkrankungen die zweithäufigste psychische Erkrankung. Psychische Erkrankungen seien inzwischen die häufigste Ursache, warum Menschen vorzeitig in Rente gehen. „Die Hoffnung, dass eine vorzeitige Rente eine psychische Erkrankung verbessert, erfüllt sich aber fast nie“, erläuterte Dr. Martin Lison, der in seinem Arbeitsalltag auch häufig mit Menschen zu tun hat, die durch die Arbeitswelt krank geworden sind.
Welche Funktionen erfüllt „Arbeit“?
Arbeit erfülle – neben dem finanziellen Einkommen – zahlreiche Funktionen. Sie ermögliche zum Beispiel Selbstverwirklichung, Kreativität, Identitätsbildung, Erfolgserlebnisse, emotionale Stabilität, soziale Kontakte und eine Tagestruktur.
Risikofaktor Arbeit
Arbeit bringt aber auch Risikofaktoren mit sich. Als Beispiele nannte der Chefarzt unter anderem Verdichtung und Beschleunigung, Gewinnmaximierung, die immer mehr im Vordergrund stehe, „Entfremdung“ von der Arbeit oder den Verlust von Sicherheit, Sinn und persönlicher Entscheidungsfähigkeit. Geringqualifizierte fühlen sich weniger geschätzt und werden (immer) weniger gebraucht. Ein wichtiger Risikofaktor sei die Arbeitslosigkeit. Sie gehe oft mit einer Verringerung des Selbstwertgefühls, Scham, Konflikten in der Familie, Resignation und Mutlosigkeit einher. Arbeitslosigkeit erhöhe das Risiko, vorzeitig zu sterben.
Was macht krank?
Der Psychiater und Psychotherapeut stellte die plakative Frage „Was macht uns krank?“ und erläuterte die wichtigsten Gründe für psychische Erkrankungen durch die Einflüsse der Arbeitswelt. Arbeitende Menschen müssen in der Lage seien, mit Kränkungen zurechtzukommen. Zumindest sollen sie Kränkungen eine Zeit lang aushalten und ausgleichen können. „Das kann man trainieren und üben“, sagte Dr. Martin Lison. Krank mache zum Beispiel der Verlust von Wertschätzung, das Gefühl ausgeschlossen zu sein, Kontrollverlust, Einschränkungen von Entscheidungen, ständiger großer Druck, eigene Ansprüche wie Perfektion, fehlende Nachvollziehbarkeit von Führungsentscheidungen, Entfremdung, Sinnverlust, Kämpfe gegen „Windmühlen“ und nicht zuletzt die „innere Kündigung“. „Angst verhindert Kreativität, verhindert klares Denken“, betonte der Vortragende.
Was hält gesund?
Der Chefarzt erläuterte aber auch „gesunde“ Faktoren. Positiv auf die Psyche von Menschen wirken Anerkennung, Lob, Wertschätzung, nachvollziehbare Abläufe, Verlässlichkeit, Kollegialität, Zusammenarbeit im Team, Vertrauen, Sinnhaftigkeit, Erfolg, das richtige Maß aus Anforderungen und ruhigeren Arbeitsphasen, Verantwortungsübernahme für sich und andere, ein ausreichendes Maß an Gestaltungsspielraum, Lernen, Weiterbildung und Urlaub.
Was brauchen Sie?
An das Publikum stellte Dr. Martin Lison die Frage „Was brauchen Sie“ – um sich bei der Arbeit wohlzuführen und gesund zu bleiben? Gemeinsam wurden dann Stichworte gesammelt, erörtert und diskutiert. Die Zuhörenden nannten dabei unter anderem gerechte Bezahlung (Tariflohn), Anerkennung, eine gute Arbeitsatmosphäre, ausreichend Zeit für die Arbeitsvorgänge, soziales Miteinander und Perspektiven.
Video-Interview im Internet
Ein weiteres Video-Interview mit Dr. Martin Lison, diesmal zum Thema „Depression und Arbeitswelt“ gibt es im Internet auf www.kvhs-northeim.de. Dort stehen auch weitere Infos zum Herunterladen bereit. Am Ende der dreiteiligen Vortragsreihe über Depressionen zogen der Chefarzt und die Kreisvolkshochschule eine positive Bilanz – auch wenn der dritte Vortag im Kulturkeller der Kreisvolkshochschule in Northeim mehr Publikum verdient gehabt habe.
Foto: Senger